21. Mai
Jeder Mensch ist für irgendeinen anderen Menschen langweilig.
Das ist unwichtig.
Was man vermeiden muß, ist,
sich mit sich selbst zu langweilen.
Gerald Brenan
Als Teenager waren die meisten von uns sehr unsicher und fragten sich
ständig, wie sie wohl auf andere wirkten. Das ist ein ganz normales Entwicklungsstadium.
Aber für viele von uns begann in dieser Zeit etwas anderes: Unsere eigene
Abhängigkeit - oder die Abhängigkeit anderer Menschen von uns - kam immer
deutlicher zum Vorschein. Unsere emotionale Entwicklung stand still und
wir hatten keinen inneren Bezugspunkt, keine Beziehung zu unserer Höheren
Macht, die uns dabei geholfen hätte, die Meinungen anderer richtig einzuordnen
und sie von unserer eigenen abzugrenzen.
Während unserer Genesung haben wir unsere spirituelle und emotionale Entwicklung
wieder aufgenommen, da, wo sie zum Stillstand gekommen war. Welch befreiendes
Gefühl ist es, die eigene intuitive Einstellung zu einer Sache wahrzunehmen!
Wir können unseren eigenen Interessen folgen und unsere Pflicht erfüllen,
anstatt uns von den Gefühlen anderer beherrschen zu lassen.
Mit Hilfe unserer neuen Verhaltensweisen - der Erforschung unseres Inneren,
Gebet und Meditation - entwickeln wir eine Beziehung zu uns selbst, die
uns zu einer reifen Persönlichkeit macht.
Heute will ich meine Gefühle, Einstellungen und Interessen für so
wichtig halten, wie sie sind.
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22. Mai
Wenn du deine eigenen Ideen nicht zum Ausdruck bringst und deinem
ganz persönlichen Wesen nicht folgst, wirst du dich am Ende betrogen haben.
Rollo May
Diejenigen, die durch die Welt gehen, mit der Einstellung, es allen
recht machen oder immer alles richtig machen zu wollen, laufen Gefahr,
sich selbst zu betrügen. Sie ersticken ihre Impulse und kontrollieren
ihre Intuition, weil sie nie sicher sind, ob sie recht haben. Eine spirituelle
Übung besteht darin, jetzt innezuhalten, auf das innere Ich zu hören und
die eigenen Vorstellungen zu formulieren. Was dabei herauskommt, wird
vielleicht unsere Illusion zerstören, wir seien perfekt. Die Erkenntnis,
nicht perfekt zu sein, kann jedoch eine neue Freiheit mit sich bringen.
Die Freiheit, das Leben in Angriff zu nehmen, so, wie wir sind.
Welche Bilder steigen in mir auf, wenn ich Musik höre? Was sagen mir meine
Träume? Zu welchen neuen Einsichten gelange ich durch körperliche Betätigung?
Welche Erkenntnisse ziehe ich aus der Unterhaltung mit einem Freund?
Auf unserem Weg zur Genesung müssen wir auf unsere eigenen inneren Botschaften
hören und den Mut aufbringen, sie zu äußern.
Heute will ich das Risiko eingehen, meine eigene Meinung zu äußern.
Ich werde für mich selbst geradestehen, wenn ich meiner Intuition folge.
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23. Mai
Weißt du, ich kann es einfach nicht lassen! Ich kann mich nicht
binden.
Ich habe Beziehungen, die vielleicht ein Jahr oder länger dauern, ich
erlebe Monate der Zärtlichkeit und des Begehrens. Aber am Ende siegt die
Zeit, und die Liebe ist erloschen - so unvermeidlich wie der Tod.
Philip Roth
Die Angst vor Vertrautheit, davor, sich selbst in einer verbindlichen
Beziehung kennenzulernen, hat viele von uns einsam gemacht.
Solange wir uns auf sexuelle Höhepunkte konzentrieren, können wir die
Intimität vermeiden, die wir so fürchten. Gleich, ob wir in einer festen
Beziehung leben oder nicht, von einer Vorstellung müssen wir uns trennen,
nämlich von der, daß Sex Liebe sei. Diese Einstellung verhindert, daß
wahre Vertrautheit entsteht. Sex ist eine Ausdrucksform von Vertrautheit,
von einer Nähe, die bereits besteht. Sex allein ist hingegen kaum eine
Möglichkeit, Vertrautheit zu erlangen.
Viele von uns haben Angst vor Nähe, wenn die Phase der romantischen Verliebtheit
vorüber ist. Andere wieder streben Nähe an, doch wenn sie auf ihre eigene
Leere stoßen, kommen sie zu dem Schluß, daß sie den falschen Partner haben.
Und dann fliehen sie und suchen nach einem neuen Partner.
Wir müssen uns nicht zwischen der Ehe und einem Leben als Single entscheiden.
Vielmehr müssen wir uns darüber klar werden, ob wir bereit sind, daß uns
ein anderer Mensch wirklich kennenlernt oder nicht.
Ich will meine Ängste beiseite schieben
und die Freuden der Vertrautheit kennenlernen.
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24. Mai
Edith Bunker: "Ich mußte gerade über etwas nachdenken ... In all
den Jahren unserer Ehe hast du kein einziges Mal gesagt, daß dir etwas
leid tut."
Archie Bunker: "Edith, ich bin selbstverständlich jederzeit bereit zu
sagen, daß es mir leid tut, wenn ich jemals etwas falsch machen sollte
..."
Norman Lear
Wir müssen über Archie lächeln, weil wir uns in ihm wieder erkennen.
Auch wir haben uns in Unschuld gehüllt und waren blind für unsere Schwächen.
Vielleicht waren wir nicht wirklich blind, sondern haben uns nur geweigert,
unsere Fehler zuzugeben, weil wir Angst davor hatten. Um dieses Verhalten
zu ändern, brauchen wir Zeit und Willenskraft. Wir machen Fortschritte,
wenn wir uns nicht mehr auf Schwächen anderer Menschen konzentrieren,
sondern anfangen, eigenverantwortlich zu werden. Wir wachsen, wenn wir
bereit sind, unser Leben zu verändern und Vergebung für unsere Fehler
anzunehmen. Ein Gefühl der Selbstachtung steigt in uns auf, wenn wir sagen
können: "Ich habe einen Fehler gemacht."
Diese Äußerung beinhaltet gleichzeitig, daß wir stark genug sind, Verantwortung
zu tragen und Fehler wiedergutzumachen. So gewinnen wir mehr Selbstachtung
und gestalten unsere Beziehungen positiv.
Heute will ich die Verantwortung für mein Handeln übernehmen und
meine Fehler zugeben.
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25. Mai
Wer seine Schuld bekennt, nimmt Abschied vom Scheindasein und wendet
sich der Realität zu. Er kehrt seine Schwächen nach außen. Zwar wird er
sie dadurch nicht wirklich los, aber er hat es nicht länger nötig, sie
mit falscher Tugend zu übertünchen.
William James
Auf unserem Weg gehört das Bekenntnis zum festen Teil unserer neuen
Wirklichkeit. Wir bekennen unsere Machtlosigkeit. Wir machen ehrliche
Inventur in unserem Innern und geben unsere Schwächen zu. Wir bekennen
den Menschen, denen wir geschadet haben, unsere Fehler. Mit jedem dieser
Schritte fördern wir unser Wachstum. Wenn wir offen zugeben, was wir selbst
bereits wissen, verspüren wir Erleichterung und gewinnen neue Selbstachtung.
Manchmal halten wir an unseren Schwächen fest und verheimlichen sie sogar,
obwohl wir wissen, daß sich nur etwas ändert, wenn wir sie nach außen
zeigen. Oft stellt sich dann das, was wir für einen schweren Fehler hielten,
als ganz normale menschliche Schwäche heraus, die nur ans Licht gebracht
werden mußte. Auf jeden Fall werden wir reifer, wenn wir der Realität
ins Gesicht sehen und unsere geheuchelte Tugendhaftigkeit aufgeben, indem
wir unsere Fehler bekennen.
Heute will ich den Weg der Heilung gehen,
indem ich meine Fehler sofort bekenne.
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26. Mai
Ein Haufen Steine hört in dem Augenblick auf, ein Haufen Steine
zu sein,
wo ein Mensch ihn betrachtet und eine Kathedrale darin sieht.
Antoine de Saint-Exupery
Phantasie kostet nichts und kann so bereichernd sein! Im Leben eines
jeden Menschen gibt es irgendeinen "Steinhaufen". Bei dem einen ist es
eine Beziehung, bei einem anderen die Bürde der täglichen Routine, bei
einem dritten sein aufreibender Job und wieder bei einem anderen die Tatsache,
daß er zuviel Zeit zur Verfügung hat.
Wir können unserer Phantasie freien Lauf lassen. Sie zeigt uns, wie es
sein könnte. Laßt uns von anderen Möglichkeiten träumen!
Wir wissen, daß es viele Jahre dauert, eine Kathedrale zu bauen, aber
jede Kathedrale entsprang der Phantasie ihres Erbauers.
Wohin soll sich unsere Beziehung entwickeln? Was können wir selbst dazu
beitragen, daß sie so wird wie wir es uns wünschen? Sehen wir uns selbst
als erfolgreich bei der Arbeit? Welche kleinen Schritte bringen uns unserer
Phantasie näher?
Ich bin dankbar für meine Vorstellungskraft.
Heute will ich für meine Phantasie und den Glauben an neue Möglichkeiten
offen sein.
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27. Mai
Jeder von uns kennt Augenblicke, in denen er die Tiere beneidet:
Sie leiden und sterben, aber sie scheinen kein "Problem" daraus zu machen.
Alan Watts
Wenn wir still sind und uns unserer Höheren Macht öffnen, tauchen wahrscheinlich
Probleme in uns auf.
Wir suchen nach Weisheit außerhalb unserer selbst, damit uns bei den Herausforderungen
des Lebens geholfen wird. Für viele von uns wird dabei das Denken zum
größten Problem. Es macht uns viel größere Schwierigkeiten als die Situationen,
die wir meistern müssen.
Anders als die Tiere verkomplizieren wir das, was eigentlich einfach ist.
Schmerz ist niemals gerecht - also brauchen wir uns keine Gedanken darüber
zu machen, wie gerecht oder ungerecht er einen trifft. Von unserem momentanen
Standpunkt aus betrachtet, erscheinen uns unsere Probleme vielleicht überwältigend.
Aber morgen oder in vier Wochen werden sich die meisten dieser Probleme
schon gelöst haben. Vielleicht können wir uns schon gar nicht mehr an
sie erinnern.
Auf unserem spirituellen Weg lernen wir, an jedem Tag das zu tun, was
notwendig ist, und das Resultat dem Willen Gottes zu überlassen.
Heute will ich mir die Einfachheit der Tiere zum Vorbild nehmen.
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28. Mai
Ich umgehe das Entweder-Oder der Logik und wähle beides.
Ken Feit
Viele von uns hatten einen Lebensstil, der von einer "Entweder-Oder"-Haltung
geprägt war. In unserer Vorstellung mußten wir eine Aufgabe meistern -
oder wir waren Versager; unsere Partner mußten auf uns eingehen - oder
es stand fest, daß sie uns nicht liebten; wir mußten perfekt sein - oder
es war klar, daß wir zu nichts taugten.
Wir wollen diese ungesunde Denkweise aufgeben. Ein Großteil der menschlichen
Erfahrungen läßt sich nicht so einfach in Schubladen einordnen!
Wir erleben, wieviel besser das Leben ist, wenn wir flexibler denken und
fühlen lernen. Wir vereinfachen vieles, wenn wir unserer Intuition folgen,
statt unseren starren Lebensregeln. Zwar hat uns unser arrogantes Denken
manchmal zu einer Lösung verholfen, aber wir waren von der Wahrheit unserer
Intuition abgeschnitten. Wenn wir Fehler machen, können wir aus ihnen
lernen. Viele der genialsten Erfindungen entstanden dadurch, daß jemand
auf seine innere Stimme hörte und nicht, weil er strikt die Regeln befolgte.
Heute will ich mich für neue Denkweisen öffnen.
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29. Mai
Mit dem Gebet können wir nicht so umgehen wie mit den meisten anderen
Dingen in unserer "Knopfdruckgesellschaft". Es gibt weder "Gebetstabletten",
noch "Erleuchtungszäpfchen".
Janie Gustafson
Das Gebet ist die individuelle Beziehung zwischen einem Menschen und
seiner Höheren Macht. Diese Beziehung wird von unserem Verständnis von
Gott bestimmt.
Vielleicht hilft es uns, einmal zu betrachten, wie andere Männer und Frauen
in der Geschichte ihre Beziehung zu Gott gestaltet und wie sie gebetet
haben.
Eine Beziehung ist kein flüchtiges Ereignis mit einem schnellen Resultat,
sondern sie entsteht durch wiederholten Kontakt und ständigen Dialog.
Das Gebet ist Geben und Nehmen zugleich. Es spiegelt unsere Aufrichtigkeit
im Umgang mit Gott wider und bringt unsere Offenheit zum Ausdruck, ihm
zuzuhören, wie es ihm gebührt. Wie jede Beziehung, umfaßt auch das Gebet
all unsere Gefühle - Wut, Angst, Mißtrauen, Ironie, Großzügigkeit, guten
Willen, Dankbarkeit.
Allmählich gelingt es uns, die Ereignisse in unserem Leben mit der Weisheit
zu betrachten, die uns unsere spirituelle Beziehung schenkt.
Ich nehme meinen Dialog mit Gott wieder auf.
Ich bitte um Gottes Willen und die Kraft, mit ihm sprechen zu können.
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30. Mai
Eine Grenze ist niemals ein Punkt. Vielmehr ist sie ein Zeitraum
und eine Lebensweise. Grenzen verschwinden, aber in den Menschen bestehen
sie fort.
Hal Borland
Während unserer Entwicklung müssen wir immer wieder Grenzen überschreiten.
Unsere erste Liebe war eine emotionale und spirituelle Grenze, die wir
überschritten, und auch das Verlassen unseres Elternhauses und unsere
eigene Elternschaft stellten eine solche Schwelle dar.
Manchmal führt das Überschreiten von Grenzen in aufregendes Neuland, manchmal
ist es eher gefährlich und macht uns Angst. Auch unser Programm war für
uns eine Grenzüberschreitung.
Um spirituell lebendig zu bleiben, müssen wir fortwährend an unsere Grenzen
gehen. Dies geschieht auch dann, wenn wir alte Erfahrungen in einem neuen
Licht betrachten.
Vielleicht ist es Neuland für uns, Gottes Willen zu erfahren. Das Neue
kann uns in Form einer neuen Fertigkeit, eines neuen Hobbys oder einer
völlig unerwarteten Lebenserfahrung begegnen. Wir sammeln solche Erfahrungen.
Manches Neuland von früher ist uns so gegenwärtig, als wären wir gestern
erst dort gewesen. An welche Grenzüberschreitungen erinnern wir uns, wenn
wir auf unser Leben zurückblicken? Welches spirituelle Wissen haben wir
dadurch erlangt? Solche Fragen machen uns reifer.
Ich bin dankbar für die Zeiten des Übergangs,
die in meiner Erinnerung lebendig sind.
Sie haben mich in meiner Männlichkeit gestärkt.
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31. Mai
Mitgefühl ist der höchste und bedeutsamste Ausdruck emotionaler
Reife.
Auf seiner Suche nach Erfüllung und Selbstverwirklichung erfährt der Mensch
seine höchsten Höhen und tiefsten Tiefen durch Mitgefühl.
Arthur Jersild
Mitfühlend zu sein, ist das, was wir in unserem Programm "Unterstützung"
nennen.
Wir nehmen Abstand von unserem egozentrischen Ich und wenden uns einem
anderen Menschen zu. Während wir dies tun, erfahren wir wahrscheinlich
mehr Unterstützung und Veränderung als derjenige, dem wir helfen.
Während wir reifen, lernen wir, daß nicht jede Hilfe gut ist. So ist es
zum Beispiel besser, einen Freund mit seinen falschen Vorstellungen zu
konfrontieren als sein fehlgeleitetes Handeln zu akzeptieren. Die harte
Konfrontation stärkt ihn und macht ihm Mut, mit den Zwölf Schritten dieses
Programms zu arbeiten. Manchmal ist es schwer, ein Freund für jemanden
zu sein, der unter großem Leidensdruck steht. Es ist angenehmer, nicht
mit ansehen zu müssen, wie er leidet. Wir können mit einer solchen Situation
besser umgehen, wenn wir akzeptieren, daß wir den Schmerz eines anderen
nicht heilen, ihm jedoch mitfühlend zur Seite stehen können. Mitgefühl
hat ein Echo: das Mitgefühl, das wir jemandem geben, kommt uns selbst
zugute.
Heute will ich in meinen Beziehungen Mitgefühl zeigen.
(Alle Texte aus: Berührungspunkte. Tägliche Meditationen
für Männer. Hazelden. Heyne.
Siehe
Copyright.)
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